Kassiten: Der Kudurru - Kassitisches Rechtsdenkmal

Kassiten: Der Kudurru - Kassitisches Rechtsdenkmal
Kassiten: Der Kudurru - Kassitisches Rechtsdenkmal
 
Im 15. Jahrhundert v. Chr. übernahmen in Babylonien Fremdherrscher, die aus dem östlichen Bergland gekommen waren und sich selbst Kassiten nannten, die Herrschaft. Zwar führten ihre Könige die babylonische Tradition fort, doch entwickelten sie für einen wichtigen Sektor ihrer Herrschaft eine neue Form der Dokumentation, die sich durch Material und Aufmachung deutlich von anderen Keilschriftdokumenten unterscheidet, den »Kudurru«. Wie die Sache selbst ist auch der Begriff neu. Eigentlich bezeichnet er die »Grenze«, bedeutet hier aber »Grenzurkunde, Grenzstein«. Schon seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. war es zwar in Sumer und in Babylonien zum Teil üblich, Urkunden über Liegenschaften, das heißt über die Belehnung mit Feldern oder die Übereignung von Grundstücken, auf Steintafeln zu dokumentieren und nicht allein auf Tontafeln. Allerdings ist es nicht wahrscheinlich, dass diese Denkmäler für sich allein bestanden. Babylonische Rechtspraxis erforderte nämlich, dass Zeugen genannt wurden und dass die Vertragspartner durch ihre Rollsiegel identifiziert werden konnten. Steinobjekte ließen diese Art der Dokumentation aber nicht zu.
 
Die Kudurrus der Kassitenzeit sind durch ihren Bilderschmuck ausgezeichnet, sodass sie schon früh die Aufmerksamkeit auf sich zogen und auch in die europäischen Museen gelangten. Die nicht sehr großen, etwa einen Meter hohen und 40 cm dicken Steine sind oben meist abgerundet und tragen auf ihren walzenförmigen oder kubischen Körpern die Keilschrifttexte, die über die Belehnung von Würdenträgern mit Grundstücken berichten. Für solche Belehnungen gab es ein festes Formular, das aber je nach der sozialen Stellung des Belehnten oder nach den besonderen Bedingungen der Grundstücksvergabe modifiziert werden konnte. Über diesen Text hinaus, der in der Regel die Landfläche beschreibt, die als Lehen vergeben wurde, sind Segensformeln für diejenigen angefügt, die die Stelen wieder aufstellen, Fluchformeln für diejenigen, die eine solche Stele vernichten, von ihrem Ort wegbringen, sie ins Wasser werfen oder sonstwie beschädigen. Götter werden angerufen, die dafür Sorge tragen sollen, dass ein solcher Übeltäter auch seiner gerechten Strafe zugeführt wird. Über die schriftliche Nennung hinaus zeichnen sich die Kudurrus jedoch dadurch aus, dass sie diese Gottheiten auch bildlich darstellen.
 
Diese Reliefs zeigen die Gottheiten entweder als Mischwesen oder als Symbole. Die höchsten Götter werden durch ihre Hörnermützen repräsentiert, andere durch Geräte, Waffen, Standarten oder Symboltiere. Da wir aus Babylonien wenige Götterbilder kennen, weil diese meist aus kostbaren Materialien gefertigt waren, die später anderweitig verwendet wurden, sind uns diese bildlichen Darstellungen von Gottheiten und ihrer Symbole besonders wichtig. Sie werden auf die Betrachter im Alten Orient wohl auch einen magischen Eindruck ausgeübt haben, sodass die Steine und damit das auf ihnen dokumentierte Lehen geschützt war. Ob diese Grenzsteinurkunden tatsächlich im Gelände aufgestellt waren oder im Tempel, wo sie als Rechts- und Wirtschaftsurkunden archiviert werden konnten, ist übrigens nicht sicher. Manche der dargestellten Symbole und Symboltiere hatten offensichtlich auch astralen Charakter, wie ja auch die Götter selbst teilweise ihre Entsprechung am Himmel fanden.
 
Prof. Dr. Wolfgang Röllig

Universal-Lexikon. 2012.

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